Wenn heute die ersten Pferde in den Holstenhallen von Neumünster eintreffen und ihre Boxen beziehen, dann hält Stallmeister Stephen Schumacher gleich sechs Boxen für eine bestimmte junge Reiterin bereit. Paula de Boer-Schwarz aus Hamburg wird in den kommenden vier Turniertagen mehr Zeit im Sattel verbringen als jeder andere Teilnehmer, sie wird in allen drei Disziplinen — Dressur, Springen und Vielseitigkeit — an den Start gehen. Das ein Reiter hocherfolgreich in verschiedenen Disziplinen unterwegs sein kann, kommt vor, man denke beispielsweise an die Championatsreiter Ingrid Klimke oder Michael Jung, die herausragende Siege im Busch, im Dressurviereck und im Springparcours feierten. Aber dass eine Reiterin gleich in allen drei olympischen Disziplinen auf ein und demselben Turnier reiten möchte, ist wahrlich einzigartig.
Paula de Boer-Schwarz hat sich viel vorgenommen in dieser Woche: In der internationalen Springtour wird sie die zehnjährige Oldenburger Stute My Miss Marpel, derzeit ihr bestes Springpferd, sowie den Holsteiner Hengst Vancouver satteln. Für die Theurer Trucks 2GO Youngster-Tour hat sie den Calido I-Sohn, Calidino vorgesehen, während die Connor-Tochter Georgina W die nationalen Springprüfungen bestreiten soll. Der gekörte Trakehner Hengst Herakles TSF ist für die nationale Grand Prix und Special Tour genannt. Als große Nachwuchshoffnung für die Vielseitigkeit kommt der Sezuan-Nachkomme Semian in der Indoor-Eventing Prüfung am Donnerstagabend zum Einsatz. “Es geht schon,” lacht de Boer-Schwarz auf die Frage, wie sie sechs Pferde und fünf verschiedene Touren managen wird. “In Neumünster findet ja alles in der gleichen Halle statt und es sind keine Prüfungen gleichzeitig. Ich konzentriere mich einfach immer auf die Prüfung, die vor mir liegt und ich habe ja ein gutes Team an meiner Seite.” Dazu gehört Mutter Judith, die sich um Enkel Tjebbe Willem Jakob kümmert, Vater Wieger, der seine Tochter trainiert, und Mitarbeiterin Lisa, die mit den Pferden hilft. Dann ist da noch Renate Weber, seit über 30 Jahren eng mit der Familie de Boer befreundet und Besitzerin von fast allen Pferden, die Paula de Boer-Schwarz in Neumünster vorstellt. Auch Mannschaftswelt- und -Europameister der Springreiter, Carsten-Otto Nagel steht der Reiterin häufig mit Rat und Tat zur Seite.
Alle Disziplinen machen Spaß
Die meist-gestellte Frage in ihrem Leben sei die, ob sie sich denn nicht endlich mal auf eine Disziplin konzentrieren wolle. “Ich konnte und wollte mich nie entscheiden, das Reiten und Ausbilden der Pferde macht mir in allen Sparten Spaß. Ich bin so aufgewachsen und daher ist es fast etwas normales für mich. Irgendwie war es immer klar, Reiten war und ist mein Leben,” sagt die 32-jährige. Als Tochter des Dressurausbilders Wieger de Boer saß Paula schon als kleines Kind bei ihrem Papa vor dem Sattel und galoppierte oder passagierte durch die Halle. Vater de Boer legte Wert auf eine vielseitige Ausbildung. Schon im Ponysattel ritt Paula de Boer-Schwarz bis zu den Deutschen Meisterschaften in der Vielseitigkeit, in der Dressur ist sie mittlerweile bis Grand Prix Niveau erfolgreich und im Springen bis Drei-Sterne S. 2013 erhielt sie das goldene Reitabzeichen für Ihre Erfolge im Dressur-, Spring- und Vielseitigkeitssattel.
Heimturnier auf Augenhöhe
Mit den VR CLASSICS verbindet die Reiterin viele schöne Erinnerungen und Erlebnisse: “Es ist ja fast mein Heimturnier, ich war dort schon in der Pony-Tour am Start. Es ist wunderbar, dass es damals schon die Möglichkeit gab, vor dieser großen Kulisse mit den bekannten Stars zu reiten. Das war für mich als Kind schon ein ‘Wow’ Erlebnis, Isabell Werth, Ludger Beerbaum oder Totilas zu sehen. Neumünster war immer ein Turnier, auf das man hinblickte, wo man reiten wollte.” Heute reitet sie in den gleichen Prüfungen wie die ‘großen’ Namen. Nervös macht sie das allerdings nicht — noch nicht: “Viele Reiter sind zwar besser oder erfolgreicher als man selbst und man schaut zu ihnen hoch, aber ich finde immer, dass Reiter sich untereinander auf Augenhöhe begegnen. Das Füreinander beim Springen oder in der Vielseitigkeit ist doch sehr groß. Wenn ich oder jemand anders eine tolle Runde geritten ist, würde auch ein Star wie Rolf-Göran Bengtsson sagen, ‘Hey Paula, das war gut.’ Ich freue mich, mich mit solchen Reitern messen zu dürfen.” Natürlich sei sie ein bisschen aufgeregt, sagt sie, aber das habe mit allem anderen zu tun: Mit der Schwierigkeit und der Höhe beim Springen, mit dem Starterfeld oder auch den Zuschauern. Vorerst überwiegt die Freude und positive Spannung: “Dass ich mit so vielen Pferden in so vielen Touren in Neumünster reiten darf, ist wirklich eine Ehre und ich freue mich wahnsinnig, dass es geklappt hat. Springen und Dressur an einem Wochenende, das kenne ich und habe ich schon öfter gemacht, aber alle drei Disziplinen zu reiten, ist auch für mich eine Premiere!”
Ausgabe 10/24
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